Ostfriesland für den Magen

Das traditionelle Essen der Küstenbewohner ist nichts für schwache Mägen. Gehaltvoll, fettreich und selten fleischlos kommt es auf den Tisch. Dafür schmeckt es köstlich und gibt ordentlich Energie. Und wie bei allen regionalen Gerichten gilt: So etwas gibt es nur hier.

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nno Schierenberg kann sich noch gut an die Updrögt Bohnen erinnern, die es früher zuhause gab. Im Winter, wenn es draußen kalt und kahl war und Gerichte auf den Tisch kamen, deren Zutaten noch aus dem sommerlichen Küchengarten stammten. Updrögt Bohnen, das sind getrocknete Bohnen (dröge – trocken), die zusammen mit Kartoffeln, geräuchertem Speck und Mettwürsten zubereitet werden. Ein sehr küstentypisches Gericht, das außerhalb von privaten Küchen allerdings kaum zu bekommen ist. Für die allermeisten Restaurants ist der Aufwand viel zu groß.
Die Erinnerung an dieses Essen jedenfalls ließ Enno Schierenberg nicht los. „Ich wollte den Geschmack wiederherstellen, den ich aus meiner Kindheit kannte“, erzählt er bei einem Besuch in seinem sommerlichen Garten am Rande von Jever. Er entschloss sich also, es selbst zu versuchen. Inklusive Anbau, Ernte, Lagerung und Zubereitung. Ein lukullisches Langzeitprojekt. Das allerdings für viel Freude am Esstisch sorgt.
Schierenbergs Garten ist groß, leicht wild und bietet viel Platz für heimisches Obst und Gemüse. Wie er das anstellt mit seinem Kindheitsgericht, erzählt er ganz freimütig. Zuerst muss die richtige Sorte her, „Hinrichs Riesen“ in diesem Fall. In den Boden kommen sie nicht vor Juni, „es muss schon warm sein“, sagt Schierenberg. Die Pflanzen wachsen etwa zwei Monate und können im August geerntet werden. Um sie für den Winter haltbar zu machen, müssen die Bohnen getrocknet werden. In den ostfriesischen Haushalten greift man dazu nach Nadel und Faden und reiht sie auf, eine nach der anderen. Eine solche Strippe ollte nicht länger als etwa einen Meter sein. Das nun folgende Trocknen ist heikel, denn es darf natürlich nicht zu Fäulnis und Schimmelbildung kommen. Die aufgestrippten Bohnen sollten also zunächst an einem sonnigen, luftigen Ort hängen. Nach ein oder zwei Wochen können sie dann ins Haus geholt werden. Viele hängen sie dann auf dem Dachboden auf.

Planung ist wichtig

Monate später, wenn es kalt geworden ist, können die Bohnen dann in den Kochtopf wandern. Mit einer gewissen Vorbereitungszeit: Am Abend vor der Mahlzeit werden sie abgenommen. Tipp zur Portionierung: Etwa 30 Zentimeter reichen für eine Person. Die völlig ausgetrockneten Bohnen werden auf etwa Gabelgröße kaputt gebrochen und über Nacht in Wasser eingeweicht, damit sie wieder aufquellen. Am nächsten Tag werden sie in klarem Wasser noch einmal durchgespült und anschließend in leicht gesalzenem Wasser aufgesetzt und etwa zwei Stunden vor sich hin köcheln lassen. Dazu gibt’s dann Kartoffeln und – je nach Geschmack – geräucherten Speck oder geräucherte Wurst. Oder beides.
Updrögt Bohnen sind ein gutes Beispiel dafür, wie die Küstenbewohner zu ihren typischen Gerichten kamen. Die meisten dieser reichhaltigen Köstlichkeiten stammen aus einer Zeit, in der noch nicht jeder Haushalt über einen Kühlschrank oder eine Tiefkühltruhe verfügte. Um Lebensmittel für die kalte Jahreszeit haltbar zu machen, griff man zu anderen Techniken: Einkochen (Früchte, Fleisch), Pökeln (Fleisch, Fisch), Räuchern (Fleisch, Fisch) oder eben Trocknen / Dörren (Gemüse, Obst, Fleisch). Kohl und Bohnen konnten außerdem eingesalzen gelagert werden (Sauerkraut, Schnippelbohnen). Griff man im Winter in die Regale der Speisekammer, entstanden dann eben Kombinationen wie diese: eingekochte Birnen mit geräuchertem Bauchspeck vom Schwein. Dazu wurde ein großer Hefekloß, ein sogenannter Hüdel, zubereitet. Birnen und Hüdel ist auch heute noch ein Gericht, an das sich nicht jede Hausfrau herantraut – das sich aber dennoch großer Beliebtheit erfreut. Oder: Gepökeltes Rindfleisch mit Kartoffeln und eingelegten Gurken. Liebhaber dieses Gerichts haben es leichter, denn das sogenannte Labskaus wird im Norden häufiger in Lokalen angeboten.
Enno Schierenberg ist nicht der einzige, der sich für die alten, regionaltypischen Gerichte interessiert. Viele der Rezepte sind zwar im Internet zu finden – doch wonach suchen, wenn man sie gar nicht erst kennt? Da helfen Bücher aus der Region, „Harm un Meta‘s Kaabook“ etwa, mit Rezepten aus dem Holtriemer Raum. Oder „Das Kochbuch aus Ostfriesland“ von Annelene von der Haar. Oder „Oh wat för Vertellsels“, in dem Frank Noever plattdeutsche Geschichten mit ostfriesischen Rezepten verbindet. Aber das alles sind nur Beispiele. Wenn Sie Interesse an der Küstenküche haben und dazu noch Lust, zuhause das ein oder andere auszuprobieren, empfiehlt sich der Besuch in einem hiesigen Buchhandel.

Heimische GastlichkeitDer Geograph Peter Kremer in Carolinensiel