Wer das Land am Meer mit allen Sinnen erleben will, kann es auch mal mit trinken probieren. Nichts bringt die heimische Gastlichkeit so gut zum Ausdruck wie eine gute Tasse Ostfriesentee oder ein frisch gezapftes Bier aus einem hiesigen Brauhaus.
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as Bier an der Küste hat viele Gesichter. Für jeden Geschmack gibt es das Passende: Das kühle Blonde, das malzige Bernsteinfarbene oder den alkoholfreien Biermix. Eine der herausragenden Eigenschaften der Bierlandschaft der Küste ist das friesisch Herbe. Das Friesische Brauhaus zu Jever braut und verkauft sein Bier seit 1848. Heute ist die Brauerei mit den imposanten gläsernen Türmen im Besitz der Radeberger Gruppe. Der Turm des Brauhauses von Ostfriesen Bräu ist vielleicht weniger imposant. Dafür steht hier der Chef noch selbst an der Sudpfanne. Bevor René Krischer sich 1999 in Bagband niederließ, hatte er deutschlandweit nach dem passenden Standort für seine eigene Brauerei gesucht. Die Voraussetzung: das Gebäude sollte Charme und Charakter haben. Eigenschaften, die sich auch in seinen Bieren widerspiegeln.
Sie alle entstehen in einer ehemaligen Molkerei. Ihren Ursprung nehmen sie in der Sudpfanne. Die wichtigste Zutat für das Ostfriesen Bräu? „Wasser. Es hat mit fast 95 Prozent den größten Einfluss auf den Geschmack.“ Das Trinkwasser der Region ist für seine außergewöhnlich gute Qualität bekannt. „Es ist gutes, weiches Wasser“, erklärt der Braumeister. Das sei fürs Teekochen ebenso wie fürs Brauen bestens geeignet. Hinein kommt dann die Gerste in Form von Malzschrot. „Beides wird mit Pausen zu Maische verrührt.“ Beim sogenannten Maischen bei mehr als 50 Grad Celsius verwandelt sich die Stärke im Malz in verschiedene Zuckerarten.
„Als Nächstes geht die Maische in den Läuterbottich.“ Sie wird gefiltert, bevor sie wieder in die Sudpfanne zurückfließt. Die beiden überdimensional großen Metallgefäße haben eine Art Bullauge, durch die der 49 Jahre alte Brauereibesitzer stets im Blick hat, was sich gerade im Inneren tut. Außerdem überwacht modernste Technik den Brauvorgang. So modern war es hier nicht immer:
Angefangen hat Krischer mit einer einhundert Jahre alten Brauerei, die er Schritt für Schritt erweiterte und modernisierte. Die alten Bestandteile können Besucher nun in einem kleinen Museum bewundern. Bei 100 Grad Celsius kommt der Hopfen dazu. „Eineinhalb Stunden wird das jetzt sprudelnd gekocht.“ Bierbrauen ist ein Handwerk und braucht Zeit. Erst nach acht Stunden geht es weiter: Die klare Würze wird im Whirlpool von den Feststoffen getrennt. „Eiweiß und Hopfen verklumpen.“ Die werden herausgefiltert. Danach kühlt das Bier ab.
Im Gärtank kommt das Vorbier dazu, in dem die Hefe steckt. Nach einer Woche im Gärtank erst kommen Landbier, Pils oder Bock in den Lager- und Reifebereich der Brauerei. „Hier werden sie möglichst kalt gelagert.“ Mindestens sechs bis acht Wochen, saisonale Genüsse wie das Maibock mindestens drei Monate. Wann genau aber ein Bier reif für die Abfüllung ist, entscheidet sein Geschmack, nicht der Kalender. „Hopfen und Gerste sind Naturprodukte. Die sind jedes Jahr anders. Mindestens zwei Mitarbeiter verkosten, ob es geschmacklich unseren Vorgaben entspricht.“ Erst wenn das Ostfriesen Bräu den Geschmackstest bestanden hat, wird es per Maschine in Bügelflaschen abgefüllt, verschlossen, etikettiert und anschließend in Holzkisten verpackt. Etwa 300.000 Liter braut René Krischer pro Jahr.
Rund 1500 Brauereien gibt es heute in Deutschland. Zurück nach Jever: Dort stehen gleich zwei von ihnen. Während im großen Brauhaus Flaschen für den nationalen und internationalen Markt abgefüllt werden, wird nur wenige Meter entfernt in der Altstadtbrauerei das Marien Bräu in traditioneller handwerklicher Braukunst hergestellt. Ganz küstennah, nur wenige Kilometer vom Strand Neuharlingersiels entfernt, bietet der Werdumer Hof sein Watt`n Bier an. Maritim im Namen ist auch die Marke Tide des Vareler Brauhauses direkt am Jadebusen.
In der Stadtperle Aurich wird zudem das ProBier gebraut und serviert.
Eine noch größere Rolle im Leben an der Küste spielt der Tee. Die Deutsche UNESCO-Kommission erkannte die Ostfriesische Teezeremonie 2016 als immaterielles Kulturerbe an. Sie ist ein Symbol für Entschleunigung, Entspannung und Gastlichkeit. Auch der Esenser Markus Backenköhler wuchs wie selbstverständlich mit dem Wissen um die Besonderheiten des Heißgetränkes auf: „Ostfriesentee spiegelt das Lebensgefühl wider. Tee wird hier zelebriert.“ Heute bestimmt dieses Lebensgefühl auch den beruflichen Alltag des Kaufmanns: In sieben Filialen des Teekontors Ostfriesland in Esens, Neuharlingersiel und Norddeich wird Teekultur gelebt und weitergegeben.
Vor etwa 5000 Jahren wurde der Tee in China entdeckt. Erst im 17. Jahrhundert begann er seinen Siegeszug durch Ostfriesland. Tee ist für viele Einheimische noch heute Tradition, Genuss und Behaglichkeit in einer kleinen Tasse. Durchschnittlich 300 Liter Tee trinkt der Ostfriese. „Wir trinken damit zehnmal so viel Tee wie der Durchschnittsdeutsche“, weiß Backenköhler. Was zeichnet den Ostfriesentee aus? „Echter Ostfriesentee ist es nur dann, wenn er in Ostfriesland hergestellt wurde.“ Die bekanntesten Namen in den nationalen Supermärkten sind Firmen wie Onno Behrends in Norden, Thiele in Emden oder Bünting in Leer. Gemischt wird er in Ostfriesland, doch er wächst in Indien: „Ostfriesentee enthält mindestens 50 Prozent Assam. Der sorgt für den nötigen Geschmack und die Färbung in der Tasse.“ Der Rest sind noch mehr Assam, Ceylon, Java oder Sumatra. Die Geschmacksexperten der Handelshäuser stellen aus den Ernten eine selbst für ihn geheime Mischung zusammen. „Tee ist ein Naturprodukt“ – keine Ernte schmeckt identisch zur vorherigen. „Die Teerezepturen sind die bestgehüteten Geheimnisse.“
Die Zubereitung des Tees hingegen ist kein Geheimnis. „Gerade beim Ostfriesentee ist der Härtegrad des Wassers entscheidend.“ Stimmt die Wasserqualität nicht, leide der Geschmack. „Wir erleben das oft: Die Leute wundern sich, dass der Tee zuhause nicht schmeckt wie im Urlaub“, erzählt Backenköhler. „Das Wasser sprudelnd aufkochen.“ Er rät zur klassischen Kanne aus Porzellan oder Metall und einem Stövchen. Der Tee kommt im Filter oder lose in die Kanne. „Tee braucht Platz, muss sich entfalten können.“ Nach drei bis fünf Minuten ist der Tee fertig. „Der Kluntje kommt zuerst in eine kleine Tasse, dann der Tee.“ Das knistert behaglich. Obendrauf ein Klecks fette Sahne. „Und ganz wichtig: den Tee nicht umrühren.“ Denn der Ostfriese trinkt seinen Tee in drei Schlucken: Oben mit Sahnewölkchen, in der Mitte der herbe Tee und zum Abschluss mit süßem Kandis.
Das ostfriesische Lebensgefühl wird auch gern verschenkt oder exportiert. „Es ist ein Stück Urlaub im eigenen Zuhause“, weiß Backenköhler von seinen Kunden. „Viele wollen auch den Daheimgebliebenen eine Freude machen.“ Maritime Dekorationsartikel, feinstes Porzellan und Tees stünden hoch im Kurs – oder eben Hochprozentiges. Der Teelikör mit Vanilleschote verbindet die Liebe zum Tee mit 25 Prozent Alkohol. „Der schmeckt besonders lecker warm gemacht und mit einem Sahnehäubchen“, verrät der Teekontor-Chef mit einem Augenzwinkern. Eine echte Vitaminbombe ist der Sanddorn: In dem Küstengewächs steckt etwa zehnmal so viel Vitamin C wie in der Zitrone, veredelt mit 17 bis 40 Prozent Alkohol. Traditionelle Spirituosen der Region wie Branntwein, Klarer oder Kräuterschnaps haben eher mehr als weniger Prozente. Bis ins 19. Jahrhundert gab es an der Küste flächendeckend Brennereien. Heute sind nur noch wenige von ihnen übrig. Wer etwas Hochprozentiges mit Lokalkolorit sucht, muss trotzdem nicht lange suchen: Einige haben überlebt. Dazu gibt es immer wieder neue, spannende Produkte. Der Blick auf Etikett und Herstellungsort lohnt sich.