Ein neues System ermöglicht es künft ig jedermann, in Echtzeit zu gucken, wo es gerade wie voll ist. Wer will, kann sich danach richten, und einen leereren Strandabschnitt ansteuern. Oder eben nicht. Das System soll den Gästen helfen, sich gleichmäßiger in der Region zu verteilen.
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er öfter an die Nordsee kommt, an die Strände von Schillig im Wangerland oder Greetsiel in Ostfriesland, wird die Veränderung vielleicht bemerken: An Strandzugängen und öffentlichen Parkplätzen stehen neuerdings hohe mit Sonnenkollektoren versehene Stelen, obendrauf eine kleine Kamera. Die Sonnenkollektoren versorgen die Kamera mit Strom. Andernorts an der Küste sind die Kameras an Gebäuden angebracht, an Tourist-Infos etwa. Sie alle sind Teil eines neuen Systems, mit dem die Touristiker an der niedersächsischen Nordseeküste ganz neue Wege gehen wollen. Die Idee: Jedermann kann in Echtzeit gucken, wo es gerade wie voll ist, oder wie leer. Die Absicht: Die Besucher verteilen sich besser in der Region. Denn wer genau weiß, dass ein Strandabschnitt schon ziemlich voll ist, geht vielleicht lieber dorthin, wo es etwas leerer ist. In den nächsten Ort, zum Beispiel, in die nette Eisdiele.
„Es ist ein coronagetriebenes Projekt“, erklärt Tim Schönfeld von der Wangerland Touristik. Schönfeld ist dort Daten- und Digitalisierungsmanager und der technische Kopf des neuen Systems. Und er spielt damit auf Probleme an, die an der Küste gerade in den ersten Monaten der Pandemie aufgetreten waren: Strandparkplätze waren teils vollkommen überfüllt, denn die Leute wollten einfach nur raus, an die frische Luft. Sie kamen zu Hunderten und Tausenden auch aus der weiteren Region an die Küste, parkten, wo es gerade so ging und liefen über den Deich an die See. Die Ordnungsämter sahen das nicht gern, schließlich galten strenge Abstandsregeln. Schließlich wurden sogar vereinzelt Zufahrten zu Strandparkplätzen geschlossen.
Doch Gäste abwehren ist in einer touristischen Region keine gute Lösung; die Touristiker dachten also über Wege nach, wie Überfüllungen künftig vermieden werden könnten. „Wir wollen den Blick von vor dem Deich auf hinter den Deich lenken, damit es nicht zu punktuellen Überlastungen kommt“, sagt Schönfeld. Das ist auch in pandemiefreien Zeiten eine gute Idee, denn überfüllte Strandabschnitte sind in der Saison keine Seltenheit.
Und außerdem: Auch das Hinterland ist attraktiv für Urlauber. Es gibt hübsche Städtchen zu besichtigen oder auch angesagte Restaurants zu entdecken. Man muss es nur wissen. Auch dabei hilft das neue System, denn es bietet stets Alternativen an, wenn es an einem Strandabschnitt voll zu werden droht. Das Ergebnis all dieser Überlegungen ist die digitale Besucherlenkung, zu der auch die hohen Stelen gehören. Dutzende Sensoren an Stränden, Parkplätzen und anderen Besuchermagneten, wie etwa Schwimmbäder, übermitteln ununterbrochen Daten.
Sie geben Auskunft darüber, wie voll es gerade ist. Über eine offene Plattform kann das auch von jedem jederzeit eingesehen werden. Diese Sensoren können Kassensysteme, Drehkreuze oder auch laserbasierte Kameras sein. Tatsächliche Fotos von tatsächlichen Menschen oder Autokennzeichen gibt es natürlich nicht; vielmehr gibt es „Punktewolken“. Tim Schönfeld: „Man sieht nicht, dass es Max Müller ist, man sieht nur eine Punktewolke.“ Je nachdem, wie viele Punkte die Wolke habe, sei es ein Mensch oder ein Auto. Oder auch ein Reisemobil. Schönfeld betont, dass das System streng datenschutzkonform sei.
Wie das System funktioniert
Der digitale Service ist in den ersten Regionen für Gäste und Einheimische schon zugänglich: Wangerland, Wilhelmshaven und Butjadingen sind die ersten Orte, die mittels Sensoren Bewegungsdaten für das digitale Besuchermanagement sammeln. Die Informationen zur Auslastung können Besucher mobil über die Webseiten der Urlaubsorte oder über einen digitalen Reiseführer (Web-App) abrufen; in Echtzeit wohlgemerkt. Ergänzend dazu wurden in der Nähe von Tourist-Infos große Monitore aufgestellt, auf denen die Informationen ebenfalls abgerufen werden können. Ein Ampelsystem signalisiert dabei, wie ausgelastet die Strände und andere touristische Ziele sind. Wird die Auslastungsgrenze erreicht (rote Ampel), werden den Besuchern Alternativen angezeigt. Dabei ist natürlich jedem selbst überlassen, ob er sich danach richten will. Das Ganze ist ein Angebot an die Freiwilligkeit. In der Praxis erleichtert dies dem Besucher aber zum Beispiel die Suche von Parkplätzen und drosselt vor Ort faktisch das Aufkommen des Parkplatzsuchverkehrs. Unabhängig davon werden dem Gast ebenfalls je nach Standort Vorschläge zu Ausflugszielen oder gastronomischen Angeboten in der Nähe gemacht; inklusive Anzeige auf einer Karte und mit den notwendigen Informationen wie Öffnungszeiten. Das System ist auf Langlebigkeit ausgelegt, es soll aus den erhobenen Daten lernen.
In der Praxis bedeutet das, dass künftig auch längerfristige Vorhersagen möglich sein sollen, wann es wo wie voll sein wird. Denn wenn es jahrelang an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort stets voll ist, kann man davon ausgehen, dass es auch dieses Jahr so sein wird. Was Einheimische oder langjährige Stammgäste sowieso wissen, wird jetzt auch für neue Besucher der Region auf den ersten Blick erkennbar sein.